Klavierabend

Werke von Bach, Crumb und Hindemith

siehe Termine

Johann Sebastian Bach (1685‑1750) Partita 4 D‑Dur BWV 828
George Crumb (1929-2022) A Little Suite for Christmas, A.D. 1979
John Cage (1912‑1992) Suite for Toy Piano
Paul Hindemith (1895‑1963) Suite "1922" op. 26

Eine Reihung von Suiten, eine Abfolge, nicht auf einen konkreten Punkt zu, sondern parallel gefügt.

Bach – in der abendländischen Rezeptionsgeschichte der Protagonist der Polyphonie und des Kontrapunkts par excellence – im Übergang zur Klassik aus dem allgemeinen Musikleben verschwindend: zu altmodisch, zu gelehrig und verzopft. Hindemith – selbst im Programm vertreten – kommt zu ganz anderen Schlüssen. So bedient er sich ungeniert an Bachs Musik und schreibt seinen „Ragtime (wohltemperiert)“, ein wüstes Werk für Orchester (komponiert kurz vor der Suite „1922“, auch diese mit einem Ragtime am Ende – genauso wüst). Seine Bemerkung dazu: „Glauben Sie, Bach dreht sich im Grabe herum? Er denkt nicht dran! Wenn Bach heute lebte, vielleicht hätte er den Shimmy erfunden oder zum mindesten in die anständige Musik aufgenommen…“ Ob Hindemith wohl recht hat? Jedenfalls hat Bach, das ist verbürgt, als junger Organist in Arnstadt „viele wunderliche variationes gemachet, viele frembde Thone mit eingemischet, daß die Gemeinde darüber confundiret worden…“. Bei der Partita D-Dur gibt es reichlich Gelegenheit, den Reizen solcher „Konfusion“ nachzugehen: Taktakzentuierungen verziehen das Gefüge, lange Noten lassen den Fluss beinahe verebben, Alterationen sorgen für überraschende Färbungen, gegen den Strich gebürstete Rhythmen steigern den tänzerischen Charakter fast über sich hinaus. So ist die Musik "reizvoll" – muss aber gar nicht verwirren, sondern kann in ihren sprachähnlich auffassbaren Motiven und Figuren sehr verständlich sein. Und das Verständnis spiegelt zurück, wenn es glücklich geht. Dann kann man sich gereizt und verstanden zugleich fühlen.

Die „fremden Töne“, an denen Hindemith – in späterer Zeit als Komponist des „Ludus tonalis“ selbst streng kontrapunktisch und fast konservativ arbeitend – in seiner Suite „1922“ offensichtlich Gefallen gefunden hat: Einflüsse aus fernen Ländern (wie eben die Anfang der 20er Jahre neumodischen Tänze aus Amerika), geradezu genüssliches Auskosten von Frivolem und Ordinärem, scharfe Dissonanzen – stellenweise fast ins Monströse gesteigert. „Nimm keine Rücksicht auf das, was Du in der Klavierstunde gelernt hast.“ Das gibt er zur Interpretation seiner Suite mit auf den Weg. Hier ist Hindemith ganz der Bürgerschreck, als der er damals bekannt war. Immer wieder ironisch die Musikausübung seiner Zeit brechend, sicherlich mit einer Lust an Dada. Die Suite von Hindemith mit ihrem ganzen Aufbegehren gegen Konventionen und „guten Geschmack“ ist geradezu Oppositionsmusik. Deshalb aber nicht weniger mitreißend, schwungvoll und belebend. Und – nichts ist ausschließlich – im Verlauf treten plötzlich fragende und sensible Klänge zutage. Manches fast sphärisch. Am Ende zwar viel laut, aber durchaus auch viel leise – als ob die Opposition den Zugang zu innerlichen Welten freilegt.

Cage – bestimmt kein Nachfahre von Hindemith. Aber doch: Hindemiths Krawall-Lust ohne Dada nicht vorstellbar – Cage ohne Dada auch nicht. Auflösung und Erweiterung der Grenzen, das ist zweifelsohne ein Charakteristikum des Werks von Cage. Befreiung von jeglicher Einengung. Der Klang, der sich ganz eigenständig als Gegenstand ästhetischer Erfahrung etabliert – ob am Klavier oder an allen möglichen Instrumenten, wie z. B. in seiner Suite for Toy Piano – das gehört zu Cage. Das kindliche Instrument, das "Spielen" wird einfach ernst genommen. Oder Musik wird leicht genommen – je nach Blickrichtung. (Oder vielleicht besonders ernst?) Musik löst sich vom „Komponiert-werden“. Absichtslosigkeit als Konzept zielt unmittelbar ins Musikalische hinein. Cage entdeckt für sich, Musik hätte den Zweck, „den Geist zu reinigen und zur Ruhe zu bringen, um ihn für göttliche Einflüsse empfänglich zu machen.“ Das lässt an Bach denken: „Endlich soll auch die Endursache aller Musik [...] seyn nichts anderes als nur Gottes Ehre und Recreation des Gemüths.“

Die Erweiterung der Grenzen, einschließlich der zu bespielenden Regionen des Klaviers: Mit dem präparierten Klavier und neuen Spieltechniken hatte Cage großen Einfluss auf seine Komponistenkollegen. Crumb, der zweite Amerikaner in diesem Programm, lässt sich von den neu eroberten Möglichkeiten inspirieren. Geradezu eine Befreiung spricht aus seinem Satz zu seinen „Five Piano Pieces“ von 1965: "Bisher habe ich nur die Stücke anderer Komponisten geschrieben." Die Hinwendung zum Klang als Bedeutungsträger – eine Hinwendung zu sich selbst. Zu gesteigerter Sensitivität. Diese Sensitivität verbindet sich bei Crumb mit einer Adressierung kosmologischer Themen in seinem Werk (nicht so weit weg von Bachschen Welten): Für das Klavier und seinen Innenraum schreibt er z. B. einen Zyklus mit dem Titel „Makrokosmos“. Seine Little Suite for Christmas, A.D. 1979 greift weit aus, macht Giottos 700 Jahre alte Fresken in der Arenakapelle zum Gegenstand – mit ihrer „Kindlichkeit und Unschuld“, nach Crumbs Wahrnehmung. Ist in den sphärischen Clustern, in den schnellen, hohen Figuren mit den Pedaleffekten und in den Saitenklängen der Weltraum zu hören, der als blauer, besternter Hintergrund aus den Fresken Giottos strahlt? Auf jeden Fall lädt Crumb mit seiner – barocken Ideen gar nicht so entfernten – lautmalerischen, an manchen Stellen fast illustrativen Musik ein (z. B. Glockenspieleffekte), sich wie ein Kind (von der Weihnachtsgeschichte) bezaubern zu lassen.